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"Les Contes d’Hoffmann" von Jacques Offenbach, Landestheater Linz

Premiere am Samstag, dem 12. Dezember 2009

 

Beim Besuch einer Don Giovanni-Vorstellung hat der zwischen Kunst und Leben zerrissene Dichter Hoffmann auf der Bühne unverhofft seine ehemalige Geliebte, die Sängerin Stella, wiedererkannt.

Tiefbewegt kehrt er in der Vorstellungspause in Luthers Weinkeller ein. Auf das Drängen von Freunden hin erzählt Hoffmann drei unglückliche Liebesgeschichten mit drei unterschiedlichen Frauen: mit der perfekten Puppe Olympia, die sich als Automat entpuppt, mit der todkranken Antonia, die sich buchstäblich zu Tode singt, und der venezianischen Kurtisane Giulietta, die Hoffmann skrupellos sein Spiegelbild raubt. Hoffmanns Gegenspieler, der ihm verhasste Stadtrat Lindorf, der ein Auge auf die Sängerin Stella geworfen hat, kehrt in den jeweiligen Geschichten in wechselnden „Bösewicht“-Figuren wieder und zerstört Hoffmanns Liebesglück.

 

Mit seinem letzten Werk schuf Offenbach nach Motiven von E.T.A. Hoffmanns die von ihm lang erstrebte große Oper.

 

Es gibt Opern, die eine Geschichte über mehrere Akte hinweg erzählen – das ist die Mehrzahl. Es gibt einige Opern, die auf wenig Raum eine Geschichte erzählen und dabei musikalisch kaum weniger bieten – so etwas können die besten Einakter, etwa Cavalleria rusticana. Und es gibt Les Contes d’Hoffmann. Diese Oper erzählt vier verschiedene Geschichten und bietet mit ihrer vor Einfällen überbordenden Musik mindestens vier vollgültige Opern. Das ist einmalig.

 

Die Ursache für diese Fülle war einerseits das Genie Offenbachs, der an seinem Lebensende seine melodische Fantasie in den Dienst großformatigen Musiktheaters stellte. Die andere Ursache war die E.T.A. Hoffmann-Begeisterung der Franzosen: „E.T.A. Hoffmann“, schrieb Théophile Gautier, „ist in Frankreich populärer als in Deutschland. Jedermann liest seine Geschichten; sie sprechen die Concierge ebenso an wie die großen Damen, den Künstler ebenso wie den Krämer.“ Kein Wunder, dass Theaterleute auf die Idee kamen, eine ganze Reihe von berühmten Erzählungen zu einem abendfüllenden Stück zusammen zu binden und obendrein noch den populären Autor, von dem man wusste, dass er viel Selbsterlebtes in seinen Erzählungen verarbeitete, zum Helden seiner eigenen Geschichten werden zu lassen.

 

Als 1851 Michel Carré und Jules Barbier das Ergebnis als Schauspiel vorstellten, war ihnen der Erfolg sicher. Jacques Offenbach dirigierte die von einem Kollegen komponierte Bühnenmusik und mag schon damals gesehen haben, dass dieser Stoff nach mehr verlangte – nach einer Oper. Das lag nicht nur wegen dem Dunklen, Grotesken und Fantastischen der Geschichte nahe, sondern auch daran, dass drei der vier Frauen, denen die Titelfigur Hoffmann begegnet, Sängerinnen sind und durch ihre Stimme im wahrsten Sinne des Wortes „bezaubernd“ auf Hoffmann wirken. Aus E.T.A. Hoffmanns Erzählung „Der Sandmann“ stammt der perfekt singende Automat Olympia, aus „Rat Crespel“ die junge Antonia, die so gern den Beruf ihrer verstorbenen Mutter, einer Sängerin, ergreifen will. Und die Erzählung mit dem Titel „Don Juan“ lieferte die Opernsängerin Stella der beiden rahmenden Teile der Oper (Und die aus der „Geschichte vom verlorenen Spiegelbilde“ stammende Giulietta singt immerhin in der Opernfassung die berühmte „Barkarole“).

Als Offenbach 25 Jahre später und nach vielen gefeierten Operetten endlich seine große Oper schreiben wollte, kam er auf den Hoffmann-Stoff vom Beginn seiner Karriere zurück. Carré war inzwischen verstorben, aber Barbier ging gern daran, für ihn ein Opernlibretto aus dem alten Stück zu basteln. Offenbachs Inspiration konnte sich an dem Schicksal des Antihelden, den Carré und Barbier aus verschiedenen Figuren E.T.A. Hoffmanns geschaffen hatten, weit eher entzünden als an den kriegerischen oder amourösen Supermännern der üblichen Opernstoffe.

 

Die Inszenierung

Die drei Geschichten von seinen Geliebten, die Hoffmann in Luthers Weinkeller erzählt, sind für die Regisseurin der Neuproduktion, Aurelia Eggers, nicht in erster Linie Erinnerungen an Erlebtes, sondern „Phantasien in Hoffmanns Kopf. Und diese Phantasien entwickeln sich für Hoffmann in zunehmendem Maße bedrohlich.“ Eggers und ihre Ausstatterinnen Marina Hellmann (Bühne) und Veronika Lindner (Kostüme) zeigen die mittleren Akte der Oper in einer Bildsprache, die an Surrealismus, Traumdeutung und Psychoanalyse erinnert. E.T.A. Hoffmanns Fantastik, seine Welt mit ihren sich durchdringenden Gegensätzen aus einer unauffälligen, biedermeierlichen Alltagswelt und einer geheimnisvoll anziehenden Welt voller Versprechungen und Bedrohungen, weist bereits in diese Richtung. Ähnlich wie der Film kann das Theater ein Ort sein, in dem dieses Fantastische ohne klare Grenzen zwischen Traum und Wirklichkeit auf ganz eigene Weise greifbar werden kann.

 

Nach dem Beispiel klassischer Bildungsromane zeigen die drei Traum-Erinnerungen von Frauen, die Hoffmann begehrt aber nie erobert hat, zunächst den Dichter als jugendlich-naiven Heißsporn, der aufs Glatteis geführt wird (Olympia), dann den leidenschaftlichen Liebhaber (Antonia) und schließlich den zynischen Lebemann, der um sein Leben spielt, weil ihn sonst nichts mehr bewegt (Giulietta). Hier finden die bedrohlichen Fantasien, die Albträume ihren Höhepunkt, hier ereignet sich die Katastrophe: „Hoffmann wird sein Spiegelbild genommen. Sein ICH; seine Seele, sein Leben, sein Herz!“ Hoffmann ist für Eggers ein tragischer Antiheld: „Alle verzweifelten Versuche, die Liebe zu gewinnen, scheitern. Hoffmann erhält nie den Schlüssel zum Leben, zur Liebe.“

 

Libretto von Jules Barbier nach E.T.A. Hoffmann

In französischer Sprache mit deutschen Übertiteln

 

Musikalische Leitung

Ingo Ingensand/Marc Reibel

 

Inszenierung

Aurelia Eggers

 

Bühnenbild

Marina Hellmann

 

Kostüme

Veronika Lindner

 

Dramaturgie

Felix Losert

 

Besetzung

 

Olympia

Teresia Bokor/Gotho Griesmeier

 

Giulietta

Katrin Adel/Karen Robertson/Alaine Rodin

 

Antonia

Christiane Boesiger/Gotho Griesmeier/Cassandra McConnell

 

Andres, Cochenille, Franz, Pitichinaccio

Hans-Günther Müller/Matthäus Schmidlechner

 

Lindorf, Coppélius, Miracle, Dapertutto

Alik Abdukayumov

 

Nicklausse/Muse

Elsa Giannoulidou/Katerina Hebelkova

 

Stimme der Mutter/Stella,

Cheryl Lichter/Jadviga Scheinpflugová/Léla Wiche

 

Hoffmann

Yuranny Hernández Gómez/Pedro Velázquez Díaz

 

Spalanzani

Eugen Fillo/Clemens Kerschbaumer

 

Nathanaël

Bonifacio Galván/Clemens Kerschbaumer

 

Crespel

Nikolai Galkin/Florian Spiess

 

Luther

Hans Gruber/Leopold Köppl

 

Hermann

Florian Gruber/Florian Spiess

 

Schlemihl

Jochen Bohnen/Marius Mocan

 

Chor des Landestheaters

Statisterie des Landestheaters

Bruckner Orchester Linz

 

* Premierenbesetzung ist unterstrichen

 

 

 

 

 

 

 

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