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"L'Orfeo" von Claudio Monteverdi in der Wiener Staatsoper

Premiere am 11. Juni 2022 um 19.00 Uhr

Wenn mit der Premiere von L’Orfeo der im Vorjahr mit L’incoronazione di Poppea begonnene Monteverdi-Zyklus seine Fortsetzung findet, dann kommt in verschiedenerlei Hinsicht Altes und Neues zusammen: Claudio Monteverdis 1607 in Mantua uraufgeführtes Meisterwerk gilt je nach Definition als die älteste erhaltene Oper, in jedem Fall als eines der ersten Werke des Genres. Und doch ist diese Premiere eine Erstaufführung: Noch nie zuvor war das Werk in der Wiener Staatsoper zu erleben.

 

Copyright: Lukas Gansterer, Ensemblefoto

Etwas Altes und etwas Neues sollte schließlich jede Braut bei ihrer Hochzeit unter anderem bei sich tragen; und die Hochzeit von Orpheus und Eurydike ist der Rahmen, den Regisseur Tom Morris für seine Neuproduktion ins Große erweitern wird. Morris denkt für diesen Orfeo das gesamte Opernhaus und all seine Gäste als Schauplatz und Gesellschaft dieser Hochzeit – einer Hochzeit, die bekanntermaßen nicht unter dem besten Stern steht. Claudio Monteverdi und sein Librettist Alessandro Striggio haben schließlich jene seit der Antike ungebrochen faszinierende Erzählung zu ihrem Stoff gewählt, in der der Sänger Orpheus, in der Hoffnung, seine Braut Eurydike wiederzufinden, bis in die Unterwelt hinabsteigt.

Was macht Claudio Monteverdis 1607 am oberitalienischen Hof zu Mantua uraufgeführte Favola d’Orfeo (Legende von Orpheus) zur ersten Oper? Natürlich gab es vereinzelte Vorläufer. Doch in diesem Werk ist es erstmals die Musik selbst, die nicht nur als Allegorie im Prolog sinnbildlich das Wort ergreift, sondern das gesamte szenische Geschehen kongenial durchwirkt. Die Orpheus-Dichtungen der Antike und Renaissance hatten den mythischen Sänger, der die ganze Natur zu bezaubern und selbst die Unterwelt zu erweichen wusste, eher als virtuosen Meister der Beredsamkeit denn als Musiker interpretiert. Erst Monteverdi lud zu einer Feier der durch die Errungenschaften des neuen »darstellenden Stils« (stile rappresentativo) entfesselten musikalischen Triebkräfte. Vielstimmige, tänzerisch beschwingte oder feierlich gemessene Chöre und ein reich besetzter instrumentaler Apparat rahmen Monteverdis klingende Wort- und Affektausdeutung, die uns bis heute mit unverminderter Frische und Empfindungstiefe berührt.

Nach himmelhochjauchzenden Hochzeitsvorbereitungen, die durch die Nachricht vom Tod der Braut Eurydike, die durch einen Schlangenbiss verstarb, jäh unterbrochen werden, durchmessen wir mit dem verwaisten Orpheus Abgründe der Trauer und Verzweiflung und begleiten ihn auf seinem Weg in die Unterwelt. Nachdem er »jede Hoffnung hat fahren lassen« stimmt er einen Gesang an, der alle Register verinnerlichter Empfindung und hochvirtuoser Entäußerung zieht. Paradoxer Weise führt uns aber dieses Herzstück der Oper nicht nur die Macht, sondern auch die Ohnmacht des Gesanges vor Augen: Charon, der Fährmann, bleibt diesem beschwörenden Bittgesang gegenüber taub und verweigert die Überfahrt ins Totenreich. Nur der Umstand, dass er in Schlaf fällt, ermöglicht es Orpheus, sich ganz unheroisch dort einzuschleichen. Und es ist auch nicht Orpheus’ Gesang unmittelbar, sondern erst die Fürbitte von Plutos Frau, die den Totengott veranlasst, in die Rückgabe Eurydikes einzuwilligen. Diese geschieht zudem unter einer Bedingung, die dazu führt, dass Orpheus sie ein zweites Mal verlieren wird. Triumph und Elend der Kunst sind der Gattung Oper somit seit ihrem Ursprung eingeschrieben:»Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern« (Beckett). Regisseur Tom Morris lädt alle Besucher zu einer Hochzeitsparty, die er als zeitgenössische Entsprechung zum höfischen Fest als Rahmen für seine Inszenierung gewählt hat.

Unter der Leitung von Monteverdi-Spezialist Pablo Heras-Casado musiziert, wie schon bei L'incoronazione di Poppea, der Concentus Musicus Wien, das legendäre, von Nikolaus Harnoncourt gegründete Ensemble. Pablo Heras-Casado feierte in der vergangenen Saison mit der Poppea seinen Einstand an der Wiener Staatsoper und wird in der kommenden Saison gemeinsam mit dem Concentus Musicus den Monteverdi-Zyklus mit Il ritorno d’Ulisse in patria vollenden.

Musikalische Leitung
Pablo Heras-Casado
Inszenierung
Tom Morris
Bühne & Kostüme
Anna Fleischle
Licht
James Farncombe
Video
Nina Dunn
Choreographie & Bewegungsregie
Jane Gibson Callum Hastie

Die Musik / Die Hoffnung / Echo
Kate Lindsey
Orfeo
Georg Nigl
Euridice
Slávka Zámečníková
Botin / Proserpina
Christina Bock
Plutone
Andrea Mastroni
Caronte
Wolfgang Bankl
Apollo
Hiroshi Amako
Ninfa
Antigoni Chalkia
Zweiter Hirte
Iurii Iushkevich
Dritter Hirte / Erster Geist
Narumi Hashioka
Vierter Hirte / Zweiter Geist
Aaron McInnis
Gastorchester
Concentus Musicus Wien

Die Premiere am 11. Juni ist ab 19.00 Uhr live auf Radio Ö1 zu erleben. Auf der Streaming-Plattform der Wiener Staatsoper play.wiener-staatsoper.at wird die Vorstellung am 18. Juni weltweit live und kostenlos gestreamt (Registrierung erforderlich).

Rechtzeitig zur Premiere wird auf dem YouTube-Kanal der Wiener Staatsoper eine Video-Einführung in die Produktion veröffentlicht. Mit Gesprächen und musikalischen Beiträgen stellen Regisseur Tom Morris, Dirigent Pablo Heras-Casado, Georg Nigl, Slávka Zámecníková, Kate Lindsey, Christina Bock sowie Mitglieder des Concentus Musicus Wien die Produktion vor; es moderieren die Dramaturgen Andreas Láng, Oliver Láng und Nikolaus Stenitzer.

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