Sodom und Gomorrha zusammen waren nicht halb so verderbt, nicht halb so elend wie ich! « Klaus Mann beschreibt in seiner Autobiographie das Leben in
Berlin Ende der Zwanziger Jahre in diesem Sinne als berauschend, pervers und betäubend. Von einem solchen Nimbus angelockt, verschlug es viele Künstler und solche, die es werden wollten, nach Berlin. Auch der junge Schriftsteller Christopher Isherwood kommt 1930 aus diesem Grund dorthin. Erst 1933 verlässt er angewidert von den Nazis wieder die Stadt, aber aus den Erinnerungen an die aufregende Zeit entstehen zwei Romane, die das Leben der Menschen in Berlin am Rande des Abgrunds eindringlich schildern: Goodbye to Berlin und Mr. Norris Changes Trains. Aus Motiven dieser Romane entsteht erst ein Stück, dann ein Film.
Schließlich ein Musical – Cabaret – das schon 1966 am Broadway ein Renner wird. Cabaret ist in der Verfilmung von 1972 mit Liza Minelli, für die noch die Songs Cabaret, Bye Bye, mein lieber Herr und Money dazukamen, bis heute ein legendärer Welterfolg.
Auf der Musicalbühne erlebt ein alter Ego von Isherwood, der Schriftsteller Clifford Bradshaw Abenteuer in Berlin. Silvester 1929 trifft er ein. Seit Monaten steckt er in einer Schreibkrise, er reist von einer europäischen Metropole in die andere, um Inspiration zu finden. Im Kit-Kat-Club lernt er Sally Bowles kennen, eine promiskuitive junge Dame mit interessanter Singstimme, dem brennende Wunsch, ein Star zu werden und grün lackierten Nägeln. Sally und Clifford verlieben sich ernsthaft ineinander. Parallel zu der Liebesgeschichte
der jungen Leute entwickelt sich eine Romanze zwischen der resoluten Zimmerwirtin von Cliff, Fräulein Schneider, und dem jüdischen Obsthändler Schulz, der ebenfalls in der Pension lebt. Als Sally schwanger wird, versucht Cliff, Geld zu organisieren. Er gerät in Kontakt mit den Nazis, für sie kann er Schmugglerdienste leisten. Jedoch als er deren politische Ziele näher kennenlernt, lehnt er weitere Botengänge ab. Er will zurück nach Amerika, mit Sally. Aber Sally ist blind gegenüber den Entwicklungen in Deutschland, sie glaubt, dort noch eine Karriere als Sängerin machen zu können. Sie lässt das Kind abtreiben und arbeitet wieder im Kit- Kat-Club als Sängerin während Cliff nach Amerika zurückreist. Auch die Liebe zwischen Fräulein Schneider und Herrn Schulz scheitert angesichts der Nazis, die immer mehr Macht über das Leben der Menschen in Deutschland gewinnen: Um nicht ihren Gewerbeschein zu verlieren, löst Fräulein Schneider ihre Verlobung mit Herrn Schulz wieder auf – als Frau eines Juden hätte sie bald mit Schikanen zu rechnen.
Immer wieder wird die Handlung um die beiden Paare von Szenen und Songs im Cabaret unterbrochen – oder besser: kommentiert. In den Auftritten des Conferenciers bricht sich die Handlung ironisch. Seine professionelle Unbewegtheit gegenüber allen Geschehnissen macht ihn jedoch zu einer letztlich undurchschaubaren, unheimlichen Figur. In dem Musical erlebt man Berlin am Ende der Zwanziger Jahre, die aufgeladene Atmosphäre am Vorabend der Machtübernahme der Nationalsozialisten, wie sie auf das Leben
immer mehr zerstörend einwirken – die Katastrophe ist voraussehbar, aber keiner hält sie auf. Sally ignoriert die Entwicklung und Fräulein Schneider fügt sich drein. Zwei Beispiele für Haltungen der Deutschen, die den Nazis den Weg zur Macht ermöglichten. Das letztlich tragische Stück zeigt meisterhaft Momentaufnahmen vom Weg in den Abgrund.
Die Wuppertaler Bühnen präsentieren das Musical nun in einer Neuinszenierung von Werner Pichler. Der aus Österreich stammende Musiktheaterregisseur arbeitet das erste Mal in Wuppertal. Sein Team birgt zwei in Wuppertal gut bekannte Künstlerinnen: Die Kostüme gestaltet Judith Fischer, die Choreographie besorgt Rosita Steinhauser. Neu in Wuppertal ist auch die Bühnenbildnerin Andrea Hölzl, die ebenfalls aus Österreich stammt und schon lange mit Pichler zusammenarbeitet.
Buch von Joe Masteroff nach dem Stück »Ich bin eine Kamera« von John van Druten und Erzählungen von Christopher Isherwood
Gesangstexte von Fred Ebb
Musik von John Kander
Deutsch von Robert Gilbert
In der reduzierten Orchesterfassung von Chris Walker
Die nächsten Vorstellungen sind am 16. Dezember 09 sowie am 2. und 16. Januar 2010 im Opernhaus