Die Bewohner haben sich an die Gängelung gewöhnt und mit den Verhältnissen arrangiert. Der Umgang mit den Beamten aus dem Schloss nimmt die merkwürdigsten Formen an. K. steht beziehungslos in diesem Geschehen und ist doch zugleich aufs Äusserste in die Vorgänge verstrickt. Mehr und mehr wird er von dem Gedanken besessen, ins Schloss vordringen zu müssen. Das Schloss aber erweist sich für ihn als unerreichbar.
Estefania Miranda hat sich bei der Umformung des Romans zu einem Tanzstück vor allem von dessen starkem atmosphärischen Gehalt anregen lassen. In ihrer Arbeit mit der Tanzcompagnie KonzertTheater Bern geht sie der Frage nach, inwiefern das von Kafka erzählte Geschehen etwas Reales oder vielleicht doch nur etwas von der Hauptfigur innerlich Erlebtes ist. Ausgehend von Kafkas überlieferter Bemerkung, wonach der Roman mit dem Erschöpfungstod der Hauptfigur K. hätte enden sollen, rollt Estefania Miranda das Stück gleichsam von hinten auf: Der ans Ende seiner Kraft gekommene K. erlebt Vergangenes als gegenwärtig und taucht in eine Welt, in der sich sein Inneres nach aussen wendet.
Aus den körperlich erlebten Gedanken, Erinnerungen und Emotionen, die ihn bestürmen, hebt sich langsam das Bild des Dorfes heraus, in das er einst nach langer Wanderschaft geraten war. Er findet sich zunächst inmitten der Familie des Barnabas wieder, deren Leben von denkbar grösster Mühsal geprägt ist. Daraufhin in die feindselige Atmosphäre des Dorfalltages geworfen, findet er Zuflucht bei dem Ausschankmädchen Frieda. Doch den beiden ist keine gemeinsame Zukunft beschieden, die Vertreter der Schlossgewalt treiben die beiden unerbittlich auseinander. K. gerät in einen tiefen inneren Zweispalt: auf der einen Seite wird die Obsession, dem Schloss näher zu kommen und in der Dorfgemeinschaft Anerkennung zu finden, immer stärker. Auf der anderen Seite stellt sich ihm der Alltag im Dorf immer bizarrer dar, und die Menschen um ihn herum werden immer weniger greifbar. Dies führt unausweichlich zu K.s völligem Zusammenbruch.
Dass Kafkas Universum mehr als Düsternis und Entfremdung zu bieten hat, zeigt Estefania Miranda an der Personenführung der Dorfbewohner, die immer wieder eine geradezu groteske Komik entfalten. Auch das Bühnenbild von Gabriele Wasmuth trägt hierzu bei, indem es den Raum des Geschehens als eine belebte Innenarchitektur ausweist, in der bisweilen eine Geisterhand am Werke zu sein
scheint. Das niederländische Komponistenduo Jeroen Strijbos & Rob van Rijswik schafft wie bereits in «Othello» und «Frankenstein» passgenau zum Stück eine elektronische Komposition, in der die Vielfalt der von Kafka geschilderten Stimmungen und Zustände ihre akustische Entsprechung findet.
Estefania Miranda wurde 1975 in Chile geboren und studierte Tanz in Edinburgh (GB) und Tilburg (NL). Bereits im dritten Studienjahr wurde sie in die Ismael Ivo Company am Deutschen Nationaltheater Weimar aufgenommen. Hier blieb sie bis 2000 und war in Ismael Ivos Choreografien als Solistin in zahlreichen Hauptrollen zu sehen. Es folgen internationale Tourneen u.a. in Europa, Brasilien, Kolumbien, Ägypten und der Türkei.
Während dieser Zeit arbeitete sie außerdem mit George Tabori an der Schaubühne Berlin und entwickelte eigene Tanzstücke am Deutschen Nationaltheater Weimar. 2000 wurde Estefania Miranda Schauspielerin und Ensemblemitglied am Deutschen Nationaltheater Weimar. Es folgten Projekte als
Tänzerin und Schauspielerin u. a. am Schauspiel Hannover, bei ImPuls Tanz in Wien und mit Marina Abramović in Paris. 2009 gründete sie die Company Estefania Miranda und erwarb ein eigenes Produktionszentrum mit Proberäumen, Bühne und Café in Berlin. Im Jahr darauf wurde Estefania
Miranda Kuratorin für Tanz am Deutschen Nationaltheater Weimar sowie Künstlerische Leiterin des Internationalen Tanzfestivals Weimar, das sie zuvor gegründet hatte. Ihre von Publikum und Presse gefeierten Arbeiten – etwa die Trilogie «Zwischenräume», basierend auf Texten von Sarah Kane und Michel Houellebecq – wurden international produziert und gezeigt unter anderem beim Festival de Printemps Lausanne, im Theater Rote Fabrik in Zürich, in der Usher Hall in Edinburgh sowie im Festspielhaus Hellerau in Dresden. Seit Beginn der Spielzeit 2013.14 ist Estefania Miranda Direktorin Tanz am Konzert Theater Bern.
Regie Estefania Miranda –
Choreografie Estefania Miranda (in Zusammenarbeit mit den Tänzer/innen)
Bühne u Kostüme Gabriele Wasmuth
Musikkomposition Jeroen Strijbos & Rob van Rijswijk
Video Chris Ziegler
Dramaturgie Christoph Gaiser
Mit Tanzcompagnie Konzert Theater Bern
Weitere Vorstellungen: 20., 31. Okt | 08., 11., 20., 27. Nov | 05., 18., 30. Dez
2015 | Einführung 30 Min vor der Vorstellung (ausser Premiere)