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Uraufführung der Oper "Benzin" von Emil Nikolaus von Reznicek, Städtische Theater Chemnitz

Premiere am 28. November, 19.30 Uhr im Opernhaus

 

Diese Oper ist nicht etwa - wie der Titel vermuten lässt - ein Produkt der Neuzeit, sondern entstand bereits 1928/29.

Gladys, Tochter eines amerikanischen Milliardärs, lebt auf einer mysteriösen Insel, die zwar auf keiner Landkarte verzeichnet ist, sich aber offensichtlich unweit des amerikanischen Flughafens Lakehurst befindet. Auf dieser Insel muss der Zeppelin-Kommandant Ulysses Eisenhardt bei seinem Weltrekordflug um den Äquator notlanden, da ihm der Treibstoff ausgegangen ist. Er scheint Glück im Unglück zu haben, denn Benzin gibt es hier in großen Mengen.

 

Aber da ist noch Gladys, die die unangenehme Eigenschaft hat, Männer mittels Hypnose in Tiere zu verwandeln. Natürlich will sie auch Eisenhardt ihrer illustren Sammlung hinzufügen, doch er widersteht ihr und setzt alles daran, seine Reise bald fortsetzen zu können. Eine herbe Enttäuschung für die „Zauberin“, ist sie doch, ohne es zuzugeben, in heißer Liebe zu ihm entflammt. Sie will ihn um jeden Preis aufhalten und gelangt dabei zu der Erkenntnis, dass die Liebe eine stärkere Kraft ist als alle hypnotischen Künste.

 

Die Oper Chemnitz hat in den vergangenen Jahren durch eine Reihe von musikalischen Ausgrabungen, aber auch durch deutsche Erstaufführungen auf sich aufmerksam gemacht. Gerade letztere - „Love And Other Demons“ von Peter Eötvös und „Pinocchios Abenteuer“ von Jonathan Dove - avancierten dabei zu Lieblingsopern des Chemnitzer Publikums und ließen Kritiker aus nah und fern staunen über ausverkaufte Ränge und begeisterte Zuschauer. Das neueste Projekt verbindet nun quasi Ausgrabung mit Erstaufführung, genauer gesagt: mit einer Uraufführung. Mit kriminalistischem Spürsinn verfolgte das Theaterteam um Generalintendant Dr. Bernhard Helmich die Spuren von Rezniceks Oper „Benzin“. Das Werk wurde im Sommer 1929 vollendet, aber nie aufgeführt. Partitur und Klavierauszug, beides handschriftlich, fanden sich in der Österreichischen Nationalbibliothek. Als Erbe und Rechteinhaber wurde Rezniceks Urenkel Michael Fehrmann ausgemacht, der sich sofort von den Chemnitzer Aufführungsplänen begeistert zeigte. Nun mussten „nur noch“ die Noten in ein lesbares Schriftbild übertragen und Orchesterstimmen erstellt werden, um dieses Heiter-phantastische Spiel mehr als 80 Jahre nach seiner Entstehung das Licht der Opernwelt erblicken zu lassen.

 

Der Komponist

Emil Nikolaus von Reznicek wurde 1860 in Wien als Sohn eines k.u.k.-Generals geboren. Gleichzeitig mit einem Jura-Studium begann er musikalische Studien bei Wilhelm Mayer (W. A. Rémy) in Graz, die er später in Leipzig bei Carl Reinecke und Salomon Jadassohn fortsetzte. Nach diversen Engagements als Korrepetitor, Militär- und Hofkapellmeister arbeitete er ab 1902 bis zu seinem Tod 1945 als Kapellmeister überwiegend in Berlin. Reznicek war zu Lebzeiten ein auch bei Fachkollegen angesehener Dirigent und Komponist und pflegte freundschaftlichen Kontakt u. a. zu Gustav Mahler, Richard Strauss und Alban Berg. Den ersten Bühnenerfolg brachte bereits 1894 die Aufführung seiner Oper „Donna Diana“ in Prag, aber auch Werke wie „Ritter Blaubart“, „Holofernes“, „Spiel oder Ernst“ und „Satuala“ waren auf den Spielplänen der Theater häufig zu finden. Darüber hinaus schrieb er weitere Vokal- und Instrumentalwerke, darunter mehrere Sinfonien. Der Chemnitzer Generalmusikdirektor Frank Beermann, der in der Vergangenheit bereits drei Sinfonien Rezniceks beim Label cpo herausgebracht und zwei weitere im September 2010 mit der Robert-Schumann-Philharmonie eingespielt hat, findet Reznicek unbedingt der weiteren Entdeckung wert: „Seine Kompositionen sind sehr humorvoll, oft den Zeitgeist ironisch betrachtend, brillant in Tonsatz und Orchestrierung.“

 

Die Vorlage

Als textliche Vorlage diente die Komödie „Über allen Zauber Liebe“ von Pedro Calderon de la Barca (1600 – 1681). Bereits zu Lebzeiten ein sehr angesehener Schriftsteller, gilt er noch heute neben Lope de Vega als einer der größten spanischen Dramatiker. Nach Jahrzehnten, in denen sein Werk fast vergessen war, erlebte es eine Renaissance im Verlaufe des 19. Jahrhunderts durch Übersetzungen und Aufführungen von Goethe, Schlegel, Eichendorff, Grillparzer und Hofmannsthal. 1906 wurde in München sogar eine Calderon-Gesellschaft gegründet „zur Pflege höherer und vornehmlich geistlicher Bühnenkunst“. In „Über allen Zauber Liebe“ beschäftigt sich Calderon mit dem antiken Mythos um Circe und Odysseus. Der besondere Reiz von „Benzin“ besteht darin, dass Reznicek die Vorlage mit dem Zeitgeist der 20er Jahre verknüpfte. Der Berliner Musikwissenschaftler Dr. Michael Wittmann schreibt dazu: „Der wertkonservative Reznicek entwirft darin die Utopie, dass der scheinbar ewige Geschlechterkampf sich unter den freieren Bedingungen der 1920er Jahre einem friedlichen Ausgleich nähern könne, auch wenn das fast zu schön wäre, um wahr werden zu können.“

 

Nach dem überragenden Erfolg mit der Familienoper „Pinocchios Abenteuer“ ist es der Oper Chemnitz erneut gelungen, das britische Team um Regisseur Martin Duncan, Bühnenbildner Francis O’Connor und Choreograf Nick Winston für die Inszenierung zu verpflichten.

 

Ein modernes Stück

 

Konkret zur Komposition angeregt wurde Reznicek offensichtlich durch ein damals pressebestimmendes Ereignis: Nachdem bereits 1924 die erste Atlantik-Überquerung eines Zeppelins durch das Luftschiff „Los Angeles“ stattgefunden hatte, startete im Oktober 1928 die noch größere „Graf Zeppelin“ auf gleicher Strecke. Bei dieser Reise gab es einen Beinahe-Absturz, ausgelöst durch den Ausläufer eines Hurrikans über der Karibik. Nur dem risikobereiten Piloten Hugo Eckener, der den Schaden in der Luft reparieren ließ, war es zu verdanken, dass das Projekt ein glückliches Ende fand, mehr noch: dass es seitdem regelmäßige Transatlantikflüge für die Passagierbeförderung gab.

 

Reznicek hatte seine Partitur schon fertiggestellt, als ein noch größeres Luftfahrtereignis die Welt in Atem hielt: Im August 1929 startete die „Graf Zeppelin“ zu einer Weltumrundung, finanziert durch den amerikanischen Zeitungsmagnaten William Randolf Hearst. Inwieweit dieser mit dem Milliardär Jeremias D. Thunderbolt, dem Vater von Gladys, in „Benzin“ identisch ist und ob diese und noch weitere Parallelen mit lebenden Personen dafür gesorgt haben, dass sich kein Theater an die Uraufführung wagte, bleibt auf der Ebene der Spekulationen. Konkrete historische Belege lassen sich dafür nicht finden.

 

Naheliegend ist natürlich die Vermutung, dass die Weltwirtschaftskrise eine Aufführung von „Benzin“ verhinderte. Vergleichbare Bühnenwerke, zusammengefasst unter dem Begriff „Zeitoper“, hatten Erfolg in den 1920er Jahren – der wirtschaftliche Umschwung, der bekanntermaßen finanzielle Auswirkungen auf alle Teile der Gesellschaft hatte, ließ das Interesse an dieser Art Kunst über viele Jahre erlahmen. Ganz davon abgesehen, dass es sich nach dem Absturz der „Hindenburg“ in Lakehurst wohl von selbst verbot, eine heitere Oper aufzuführen, bei er es um einen Zeppelin-Flug und die damit verbundenen Probleme ging.

 

Ein kleines Chemnitzer Jubiläum ist mit dem ideegebenden Luftschiff verbunden: Nur ein Jahr nach der Weltumrundung konnten auch die Chemnitzer 1930 die „Graf Zeppelin“ in ihrer Stadt begrüßen. Dies gilt als erste und einzige Großluftschiff-Landung in dieser Stadt. Damals hat kaum einer von Rezniceks Zeppelin-Oper gewusst. Jetzt, 80 Jahre später, setzt die Oper Chemnitz mit der Uraufführung von „Benzin“ nicht nur die Reihe der Aufführungen von Opernraritäten fort, sondern erinnert gleichzeitig an die Zeppelin-Landung in Chemnitz.

 

Die Musik

 

Reznicek, im gleichen Jahr wie Gustav Mahler geboren, ist auch stilistisch Zeit seines Lebens der Romantik nahe geblieben. Auf den Punkt gebracht hat er seine Haltung mit einem Satz, der in „Benzin“ fast beiläufig gesungen wird: „Denn der stärkste aller Triebe ist und bleibt die alte Liebe, und trotz neuer Sachlichkeit, bleibt sie Trumpf in Ewigkeit.“ Hört man „Benzin“, spürt man an vielen Stellen die Nähe zu Richard Strauss. Reznicek ist ein Meister der Tonmalerei und der musikalischen Charakterzeichnung. Beispielsweise lässt er es sich nicht nehmen, den bayerischen Koch der Zeppelin-Mannschaft mit entsprechend derb-ironischer Musik auszustatten.

 

Vor allem aber sind es die Modetänze und Gassenhauer der Zwanziger Jahre, die dem Werk Schwung und Kurzweiligkeit geben. Zum Foxtrott darf sich die Damenriege in rhythmischer Sportgymnastik, einer damals beliebten Methode der körperlichen Ertüchtigung, üben. Sogar eine kleine Jazz-Band tritt als Bühnenmusik auf und vermittelt das Lebensgefühl einer Zeit, in der die Menschen nach den Entbehrungen infolge der 1. Weltkrieges wieder optimistisch in die Zukunft blickten und sich uneingeschränkt dem Genuss hingaben. Reznicek spart auch nicht an klanglichen Effekten: Propellergeräusche, Sirenen, Hammer und Amboss sind zur Stelle, um den Flughafen auch akustisch gut in Szene zu setzen.

 

Das Regieteam

 

Nach dem großen Erfolg mit der Familienoper „Pinocchios Abenteuer“ ist es der Oper Chemnitz erneut gelungen, das britische Team um Regisseur Martin Duncan, Choreograf Nick Winston und Ausstatter Francis O’Connor für die Inszenierung zu verpflichten. Die musikalische Leitung übernimmt der Chemnitzer Generalmusikdirektor Frank Beermann.

 

Musikalische Leitung

Frank Beermann

Inszenierung

Martin Duncan

Bühne und Kostüme

Francis O’Connor

Choreografie

Nick Winston

 

Besetzung

Jeremias Thunderbolt

Kouta Räsänen

Gladys

Johanna Stojkovic

Violet

Guibee Yang

Lissy

Susanne Thielemann

Nell

Tiina Penttinen

Plumcake

Thomas Mäthger

Die Alte

Heidrun Göpfert

Meyer

Matthias Winter

Ulysses Eisenhardt

Carsten Süss

Freidank

Andreas Kindschuh

Machullke

André Riemer

Obertupfer

Martin Gäbler

Müller

Mathias Kunze

Lehmann

Peter Heber

Ein Diener

Stephan Hönig

Eine Dame

Ulrike Bader

 

Rundfunkübertragung

Die Premiere wird live bei MDR FIGARO und zeitversetzt bei Deutschlandradio Kultur übertragen und vom Klassiklabel cpo auf CD veröffentlicht.

 

Termine

03.12.2010

18.12.2010

19.12.2010

11.01.2011

11.02.2011

26.02.2011

 

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Lesezeit für diesen Artikel: 44 Minuten



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