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Vertan, aber nicht versungen

Antonio Salieris "La Cifra" im Kölner Opernhaus

Copyright: Klaus Lefebvre

Wann immer von Antonio Salieri (1750-1825) die Rede ist, geht es alsbald weniger um seine Werke, sondern um seine angebliche Rivalität zum genialen Zeitgenossen Mozart - und um das haarsträubende Gerücht, wonach er, angetrieben von Neid und Mißgunst, diesen heimtückisch ermordet habe. "Ich möchte Salieri sein und nicht Mozart, noch lieber aber Miloš Forman, der Regisseur des Films 'Amadeus'" - so läßt denn auch der Satiriker Ephraim Kishon den Komponisten in komischer Verzweiflung ausrufen, wohl wissend, dass solche aus der Luft gegriffenen Mord(s)geschichten allemal zugkräftiger sind als alle solide Tonkunst, die bis auf wenige Ausnahmen lange in den Archiven der Musikgeschichte verschollen bleibt...

Nichtsdestoweniger erfreut sich das Opernschaffen Salieris, immerhin eines der berühmtesten Komponisten seiner Zeit, inzwischen einer gewissen Renaissance, die es im Falle von Cecilia Bartolis fulminantem Arienalbum sogar bis in die Popcharts katapultiert hat. Tatsächlich können die Freunde und Bewunderer seiner Musik aus einem überaus reichhaltigen Fundus von Opernpartituren schöpfen: Mehr als 40 Bühnenwerke hat Salieri, der ja unter anderem Kapellmeister der italienischen Oper in Wien war, bis zu seinem Rückzug vom Musiktheater im Jahr 1804 geschaffen. Viele davon sind der Opera-seria-Tradition verpflichtet, andere wurden von der Gluckschen Opernreform inspiriert, aber auch für die moderne Strömung der Opera buffa zeigte sich Salieri aufgeschlossen.

Zur letztgenannten Kategorie zählt auch "La Cifra" (1789), die jetzt vom Kölner Opernhaus herausgebracht wurde. Es treten auf: Ein italienischer Bürgermeister nebst seinen beiden, charakterlich höchst gegensätzlichen Töchtern, ein schottischer Milord und sein Freund, verschiedene andere Leute, der Chor der Dorfbewohner. Was geschieht: Die eine Tochter ist gar nicht die Tochter, sondern ein Adoptivkind adliger Herkunft, um dessentwillen der Schotte auf Freiersfüssen daherkommt. Weil dies auch noch andere tun und der Bürgermeister sein eigenes Spiel treibt, entspinnt sich das für die Opera buffa übliche Verwirrspiel von Sein und Schein. Erst am Ende kommt der Untertitel des Werks, "Das Rätsel mit den Buchstaben", zu seinem Recht - die wahren Identitäten werden geklärt, die Schuldigen entlarvt, die Liebenden vereint.

Zwar ist dieses Libretto aus der Feder des berühmten Lorenzo da Ponte alles andere als ein literarisches Meisterwerk, enthält jedoch genügend gediegene Situationskomik, um die Lacher auf die Seite des Stücks und seines Personals zu bringen. Dass diese im Kölner Opernhaus dem Zuschauer gründlich im Halse stecken bleiben, liegt nicht an der Musik Antonio Salieris, sondern an der das Alberne bis zur schmerzlichen Grenzerfahrung ausreizenden Inszenierung Christian Stückls. Letzterer, Intendant am Münchner Volkstheater, mochte dem oftmals durchaus feinsinnigen Humor des Dramma giocoso so wenig trauen, dass er ihm eine Szenen- und Personenführung entgegenstellt, in der es vor "grobem Schenkelklopfhumor" (WDR) nur so strotzt. Kaum eine Arie, kaum ein Ensemble, in der nicht irgendein vordergründiger Knalleffekt, eine überdrehte Grimasse oder Gebärde die Aufmerksamkeit von der Musik ablenken würde! Vor allem der (stimmlich durchaus imponierende) Rusticione Andreas Hörls dringt dabei unfreiwillig in bislang ungekannte Regionen des Chargierens vor...

Vertan also die Inszenierung! Versungen auch die Musik? Mitnichten! Martin Haselböcks stilsichere Einstudierung läßt Salieris Buffa funkeln und wirbeln, dass es eine Art hat: Unterstützt vom glänzend disponierten Gürzenich-Orchester demonstriert ein vorzügliches Ensemble (Andreas Hörl, Regina Richter, Ausrine Stundyte, Hauke Möller, Andrés Felipe Oroszco-Martinez, Leandro Fischetti), wie vergnüglich es sein kann, Salieris Musiktheater (wenigstens teilweise) für die heutige Zeit wiederzubeleben. Ein energisches Brio treibt das Geschehen unermüdlich voran, Arien (bisweilen durchaus innig und mozartnah) wechseln zwanglos mit Ensembles, in denen sich der Geist Cimarosas und Rossinis ankündigt. Dass das brilliante Instrumentalgewitter beim Finale des 1. Akts vom viel zu laut eingespielten Bühnendonner überdeckt wird, ist nicht den Musikern anzulasten. Wie dankbar ist man dagegen für Ausrine Stundyte (Eurilla), wenn sie bei ihrer eindrucksvollen Arie aus dem 2. Akt von der Regie und deren Horror vacui endlich einmal nicht belästigt wird! In Szenen wie dieser leuchtete auf, was aus Salieris Oper auch auf der Bühne hätte werden können. Leider waren solche Momente in Köln über weite Strecken nur mit geschlossenen Augen zu erleben - ein musikalisches Erlebnis, das den Besuch jedoch allemal lohnt!

Premiere: 1. Juni 2006

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