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Wie absurd ist das denn? Wie absurd ist das denn? Wie absurd ist das denn?...

Wie absurd ist das denn?

Die Volksbühne in Berlin kommt mit einer Uraufführung namens „SMAK! SuperMacho AntiKristo“ heraus, einer „hyperhybriden Hommage an den französischen Symbolisten Alfred Jarry“ und allerlei Anderes.

Copyright: Lilli Nass

„Merdre!“ Das steht am Anfang von „Ubu Roi“ von Alfred Jarry, seit jeher auf Deutsch etwas holprig übersetzt mit „Schreiße!“. Bei seiner Uraufführung 1896 reichte dieses erste Wort des neuen absurden Stückes, um einen veritablen Skandal zu schaffen. Heute löst das nicht mal mehr ein Schulterzucken aus. Und da liegt die Herausforderung, wenn man sich der schnell zum Klassiker avancierten Nonsens-Geschichte um den brutalen König Ubu annimmt: Die Befreiung von den Regeln einer stets bedeutungsschwangeren Hochkultur befeuerte damals eine ganze Bewegung, jede Anspielung wurde von weiten Teilen des Publikums verstanden, jede Nicht-Struktur wurde vor der Silhouette der bekannten Strukturen wahrgenommen und bisweilen auch gefeiert.

All dies fehlt uns heute, und so hat die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz eine neue Produktion namens SMAK! herausgebracht, die sich zwar auf Ubu (hier: Ubulbulul) bezieht, dazu aber auch noch auf den philippinischen Revolutionär José Rizal und allerlei andere Themen und Personen. Neue Kontexte sollen her; tausenderlei Bezüge werden angekündigt, darunter „pataphysische Versuche, direkte Parallelen zwischen nationalen Traumata in der philippinischen und deutschen Geschichte“ herzustellen, warum auch immer. Die Ausstattung bezieht sich exzessiv auf das besagte erste Wort, Haufen aller Größen aus „Merde“ bestimmen Leeroy News Bühnenbild, zusammen mit einem Riesengerüst im Industrie-Architektur-Look, auch dieses wird gekrönt von Scheiße. Es bietet auch der kleinen Band Platz, die der Filmemacher Khavn de la Cruz anführt, der hier als Regisseur, Texter, Komponist, Instrumentalist und Konzeptkünstler agiert.  

Die SMAK!-Show beginnt also mit „Schreiße“, nicht weniger als 100 „Akte“ in fast pausenlosen drei Stunden werden auf der ständig mit allerlei Texten flackernden Übertitelanlage aufgezählt. Ein Viertel davon sind die Songs von Khavn, die Musik dröhnt derweil fast immer laut und bald monoton – aber ja, es soll ja auch eine Oper sein, wie man im Programmheft liest. Überhaupt das Programmheft: Die auftretenden Figuren haben dort allesamt einen hübschen sinnfreien Lebenslauf zusammenschwadroniert bekommen, der das richtungslose Gewaber auf der Bühne keine Spur aufwertet. Es gibt Entzückendes wie den Aufputz der vielen Kinder und kleinwüchsigen Schauspieler, es gibt Vulgäres wie die ausufernd vielen Zoten und Schaumstoffgenitalien oder den auf Lilith Stangenbergs Kopf ausgeleerten Kübel Kacke, es gibt Beeindruckendes wie Bituin Exscalante, die sich in der Rolle „Mamamakbeth“ als formidable, authentische, tolle Sängerin entpuppt. Und es gibt gähnende Langeweile, weil der gut geölte und bebilderte Leerlauf einfach keine Substanz finden mag, keine Aussage, keinen Daseinsgrund. Auch die zahlreichen Zitate von Künstlern und Diktatoren und erst recht die vielen Übertitel können da nicht helfen. Daniel Zillmann als Ulbulbulul scheint den ganzen Abend nicht besonders ernstzunehmen, selbst Lilith Stangenberg, die sich wie immer existenziell-intensiv reinhaut, wird in ihrer Kraft und mal wieder stupenden Präsenz immer wieder alleine gelassen.

Und so steht dieser Abend in all seiner hübschen Kirmeshaftigkeit wie stellvertretend für die aktuelle Volksbühne: Er weiß nicht, was er sein will. Quo vadis, König Ubu, quo vadis Volksbühne? Man kann von Frank Castorf halten, was man will; seit seinem Abgang ist das Haus am Rosa-Luxemburg-Platz jedenfalls auf der Suche nach der eigenen Identität.

SMAK! SuperMacho AntiKristo
A Headless 100-Act Opera To Avenge All Bicycles Of The Universe According to Jarry & Rizal • von Khavn, Candano, Novicio, Göring

Mit: Lilith Stangenberg, Katch23, Yasmin Saleh, Sascha Schicht, Cem Aydin, Daniel Zillmann, Bituin Escalante, Maximilian Brauer, Bullet Dumas, Roxlee, Bong Cabrera, Mick Morris Mehnert, King John

Regie, Musik & Konzept: Khavn
Bühne und Kostüm: Leeroy New
Musik: Khavn, Brezel Göring
Licht: Johannes Zotz
Ton: Gabriel Anschütz, Deniz Sungur
Video: Max Heesen, Mathias Klütz
Kamera: Adrien Lamande
Choreographie Tanz: King John, Bong Cabrera
Einstudierung Gesang: Bullet Dumas

Uraufführung am 13.04.2022

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