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Berliner Festspiele: "Palast der Republik"

8. bis 10. März 2019

Im Haus der Berliner Festspiele wird vom 8. bis 10. März 2019 der Palast der Republik symbolisch neu errichtet. Künstler*innen, Philosoph*innen, Aktivist*innen, Musiker*innen und Theaterleute bespielen an den drei Tagen das Festspielhaus als große, offene Bühne.

 

Copyright: berliner festspiele, foto burkhard peter

Verbunden mit der kritischen Reflexion der ambivalenten Bedeutung des ursprünglichen Palast der Republik nimmt ein „Palast der Gegenerzählungen“ Gestalt an, der die Ereignisse der Wende- und Nachwendejahre neu betrachtet und einen Raum für Zukunftsvorstellungen jenseits vergangener und gegenwärtiger Polarisierungen eröffnet. Das Publikum kann sich frei zwischen Thesen-Revue und Zukunftsparlament, Ideenzirkus und „Musikpalast“, Performance und Film bewegen.

Künstler*innen, Philosoph*innen, Aktivist*innen, Musiker*innen und Theaterleute bespielen das Haus und gehen gemeinsam auf eine dreitägige Reise: Am Freitag werden die progressiven Entwürfe der Bürgerbewegungen von 1989 erinnert, einschließlich eines damals entstandenen Verfassungsentwurfes. Am Samstag sollen in verschiedenen Ausschüssen einzelne Aspekte der Reformkonzepte von 1989 in Berührung mit Ideen und Projekten der Aktivist*innen von heute kommen. Am Sonntag schließlich werden diese Konzepte in Beiträge zu einer transnationalen europäischen Verfassung münden, die helfen, in Zeiten des zunehmenden Populismus und Nationalismus visionäre soziale Ideen in die Zukunft zu tragen. Ausgehend von dem „window of opportunity“, das sich zwischen der Friedlichen Revolution 1989 und der Wiedervereinigung Deutschlands im Herbst 1990 öffnete, wird der „Palast der Republik“ zu einem Möglichkeitsraum jenseits vergangener und gegenwärtiger Polarisierungen, in dem sich das Publikum frei zwischen Thesen-Revue und Zukunftsparlament, Ideenzirkus und „Musikpalast“, Theater, Film und Entertainment bewegen kann.

Palast der Republik: Eine Revision der Revision

Was für eine Masse, was für eine Kraft! Eine halbe Million Menschen demonstriert auf dem Alexanderplatz. Am 4. November 1989. Sie wollen eine neue DDR. Ein anderes Land, jenseits von Mauer und Stasi, von Repression und greiser Bevormundung durch das Politbüro. Knapp 30 Redner*innen, Prominenz aus dem Kulturbetrieb, Oppositionelle und Student*innen provozieren ein dröhnendes Wechselbad von Applaus und Pfeifkonzerten. Es dominiert das Gefühl von Aufbruch, Transparente mit Forderungen nach mehr Freiheit werden geschwenkt.

Ein Jahr später. Die Mauer ist längst offen. Die DDR gibt es nicht mehr. Die D-Mark ist eingeführt. Der Zwei-Plus-Vier-Vertrag hat die formale Besatzung durch die Alliierten beendet, die deutsch-deutsche Wiedervereinigung, von der letzten DDR-Volkskammer mit großer Mehrheit beschlossen, ist vollzogen und der Einigungsvertrag, mit dem die Vereinigung unter Federführung der bundesdeutschen Regierung als bloßer Beitritt der DDR zur Bundesrepublik festgeschrieben wurde, ist unterzeichnet. So kam zusammen, was zusammen gehörte, aber doch anders, als es viele im Osten dachten. Der Grund und Boden rund um den Ort, auf dem nur wenige Monate zuvor noch die Köpfe der Bürgerbewegungen von einer Alternative, einem Dritten Weg träumten, steht zum Verkauf. Viele der Anrainergebäude des Alexanderplatzes, sozialistischer Modernismus, von den – wie es so schön hieß – Werktätigen des Landes errichtet, wird noch in den ersten Monaten nach der Wende aus dem Staatsbesitz heraus verkauft oder in private Hände übertragen. Das gleiche Schicksal ereilt hunderttausende Wohnungen sowie die Gesamtheit der DDR-Betriebe und Kombinate. Millionen Menschen sind nun frei, aber arbeitslos. Gesamtdeutsche und staatliche Transferzahlungen kompensieren diese in der deutschen Geschichte beispiellose Privatisierung.

Aus heutiger Perspektive steht die Demonstration vom 4. November 1989 für eine kurze Periode der Hoffnung auf einen besseren Sozialismus oder zumindest eine Alternative zum Kapitalismus. Emanzipative Ideen wurden entwickelt in dieser Zeit, als die Bevölkerung der DDR in einem Akt der Selbstermächtigung sagte: „Wir sind das Volk!“, und sich Land und Politik aneignete. Insbesondere an den Runden Tischen wurde die Zukunft des Landes debattiert, über eine behutsame deutsch-deutsche Annäherung auf Augenhöhe. Ein Entwurf für eine neue Verfassung entstand,, die vieles beinhalten sollte, was progressiv war und noch heute ist: Frauenrechte, Umweltfragen, Themen der Arbeit und des Wohnens. Gleichzeitig steht der Ort der Demonstrationen am Fuße des Fernsehturms und im Herzen der deutschen Hauptstadt für das Scheitern dieser ursprünglichen Hoffnungen: Kaum eine der Ideen des Runden Tisches wurde im Zuge der Einheit weiter verfolgt oder gar umgesetzt.

Auf der anderen Seite des Fernsehturms gelegen, spielte auch das Gebäude des Palastes der Republik eine bedeutende Rolle in den auf die Demonstrationen und den Sturz der Mauer folgenden politischen Prozessen. Hier hat die letzte und einzig frei gewählte Volkskammer den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik beschlossen. Hier versammelten sich im Mai 1990 Bürgerrechtler*innen im Protest gegen den 1. Staatsvertrag um einen vor dem Gebäude aufgestellten Runden Tisch – eine Kabeltrommel aus dem Kabelwerk Oberspree. Hier wurde, noch kurz vor dem Ende der DDR, im Inneren des Gebäudes Asbest identifiziert, woraufhin die Volkskammer ins ehemalige Staatsratsgebäude auswich. Ausgerechnet dieser Palast – einst Repräsentationsort der SED-Machtelite, aber auch architektonisches Experiment mit hochmodernem Theater und visionären Nutzungskonzepten – wird im Zuge seines Abrisses zu einem polarisierenden und bis heute emotional aufgeladenen Symbol für den revisionistischen städtebaulichen wie historischen Umgang mit dem widersprüchlichen Erbe der DDR.

Jean Baudrillard warnte bereits 1989 vor dem Narrativ eines Sieges des freiheitlichen Westens gegenüber dem Osten. Sibyllinisch schlug er stattdessen die Parabel einer wechselseitigen Krankheitsübertragung vor: „Virus gegen Virus […] Der auseinander gefallene destabilisierte Kommunismus wird in metabolischer Form in die Blutbahnen des Westens eindringen und ihn seinerseits destabilisieren.“ Vielleicht ist nun, 30 Jahre später, angesichts eines drohenden Zerfalls der EU, dem Gespenst des Nationalismus, dem Abweisen von Geflüchteten, angesichts von neuen Möglichkeiten der Überwachung, dem Abbau des Sozialstaates, der Privatisierung kommunalen Besitzes, von neoliberalen Arbeitsverhältnissen und Enklaven der Armut auch in einstmals reichen westlichen Zentren die Destabilisierungserfahrung angekommen? Während es 1989 allein um den Abbau Ost ging, steht heute auch das Selbstverständnis des Westens selbst zur Diskussion.

Inmitten dieses großen Überganges eröffnen die Berliner Festspiele – ausgehend von der Zwischenzeit Oktober 1989 bis Oktober 1990 – ein „window of opportunity“ für Zukunftsvorstellungen jenseits vergangener und gegenwärtiger Polarisierungen. In einer Art Revision der Revision wird ein Palast der Gegenerzählungen symbolisch dort neu errichtet, wo er nie stand: im Haus der Berliner Festspiele, der ehemaligen Freien Volksbühne im ehemaligen West-Berlin. In diesem Palast trifft das Konzept der Freiheit auf die Idealisierung eines Gebäudes des Volkes, in dem sich emanzipative Erfahrungen des Wendejahres 89/90 neu artikulieren und mit aktuellen Vorstellungen progressiver Zukunftsentwürfe verbinden können.

Im Verlauf des dreitägigen Festivals erfährt die Idee des Palastes eine mehrfache Transformation und verwandelt sich vom Erinnerungsort über ein Arbeitsforum und einen Ideenzirkus bis hin zum Zukunftsparlament. Im Anschluss an die eröffnende Keynote der amerikanischen Philosophin Susan Buck-Morss strukturieren fünf thematische Leitlinien das Programm. Gleich einer Klammer wird am Anfang wie am Ende des „Palastes“ ein Verfassungsentwurf stehen: Zu Beginn erinnern wir an die Runden Tische und an einen Verfassungsentwurf, der Anfang 1990 dort entstand, um im Verlauf der Veranstaltung über den deutsch-deutschen Problemhorizont hinaus Elemente einer transnationalen Verfassung zusammenzutragen. Eingang sollen darin nicht nur die Erfahrungen von 1989, sondern auch die positiven Errungenschaften der letzten 30 Jahre finden. Im zweiten thematischen Strang werden einige Kapitel eines Schwarzbuches der Wiedervereinigung und des damit verbundenen größten Kapitaltransfers der deutschen Geschichte aufgeschlagen. So wurden etwa mit der Treuhand Werkzeuge eines Neoliberalismus entwickelt, der heute auch die Austeritätspolitik gegenüber dem Süden Europas prägt. In internationaler Perspektive werden die historischen Dritten Wege in der DDR, in Jugoslawien und den Blockfreien Staaten rekapituliert und die utopischen Architekturen aufgespürt, die sich etwa im sozialistischen Modernismus zeigen. Zuletzt entsteht schließlich im Festspielhaus ein eigener Ort der Oral History, wo den Lebensgeschichten von Menschen aus dem Osten nachgespürt wird.

mit Almuth Berger, Tatjana Böhm, Susan Buck-Morss, Boris Buden, Augusto Corrieri, Bernd Gehrke, Trajal Harrell, Max Hertzberg, Sanja Horvatinčić, Gal Kirn, Kerstin Meyer, Henrike Naumann/Technosekte, Ana Ofak, Pan Daijing, Elske Rosenfeld, Bénédicte Savoy, Bernhard Schlink u.a.

Installationen & Filme
von Bini Adamczak, Georgi Bogdanov & Boris Missirkov, Thomas Demand, Igor Grubić, Felix Grütsch, Neša Paripović, Klaus Pobitzer, Elske Rosenfeld, Christoph Schlingensief u.a.

Änderungen vorbehalten.
Das detaillierte Programm wird in Kürze veröffentlicht.

Maximilian Haas, Sebastian Kaiser, Thomas Oberender, Elske Rosenfeld, Joshua Wicke Kurator*innen
André de Ridder Musik-Kurator
Dominic Huber Hausgestaltung

Zeitgleich mit dem „Palast der Republik“ finden vom 8. bis 17. März 2019 die Gastspielvorstellungen von „Uncanny Valley“ von Rimini Protokoll (Stefan Kaegi) & Thomas Melle im Haus der Berliner Festspiele statt.

 

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