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Gemischte Gefühle

"b.04" in der Deutschen Oper am Rhein in Düsseldorf

"Baker's Dozen" von Twyla Tharp bildet den heiteren Auftakt des vierten Ballettabends von Martin Schläpfer in der Deutschen Oper am Rhein. Minutenlang lauscht das Publikum im unbeleuchteten Saal den vom Ragtime inspirierten Klängen von Willie "The Lion" Smith, am Klavier von Cécile Tallec gespielt, bevor dann die zwölf weiß gekleideten Tänzerinnen und Tänzer über die Bühne wirbeln. Offenbar hat sich Tharp von der Tanzteeatmosphäre anregen lassen, denn Elemente von verschiedenen Gesellschaftstänzen sind in die sonst eher am klassischen Ballettstil orientierte Choreographie eingeflossen. So finden sich neben Twist und Walzer, Tango- und vielleicht auch Csárdás-Elemente. Das alles ist in warmes Licht getaucht. Eine schwungvolle Choreographie mit humorvollen Passagen, ästhetisch und unterhaltsam, mehr aber auch nicht.

Die folgende "Pavane auf den Tod einer Infantin" von Kurt Jooss ist das pure Kontrastprogramm. Formstreng, in starren, opulenten Barockkostümen, wie von einem Velázquez-Gemälde angeregt, wird in fünf Minuten die Geschichte einer Infantin erzählt, die an der formellen, lieblosen und strengen Etikette des spanischen Hofes zugrunde geht. Zur Musik von Ravel wird das in ebenso kleinen, strengen, sich wiederholenden Schrittbewegungen dargeboten, ein stilisiertes Tanzdrama, in dem Form und Inhalt übereinstimmen.

"Neither" ist die neueste Schöpfung von Martin Schläpfer. Ihr liegt die einaktige Oper von Morton Feldmann nach einem Text von Samuel Beckett zugrunde. Die Künstlerin Rosalie, die auch häufig als Bühnenbildnerin arbeitet, hat für den Bühnenhintergrund eine Videoinstallation gestaltet, die aus einem riesigen Lichtrechteck aus einzelnen Quadraten zusammengesetzt ist, deren Farben innerhalb einer leicht getönten Grauskala wechseln. Die Kostüme sind ebenfalls in leicht bläulichem Grau gehalten. Die Bühne selbst ist mit kaltem Licht ausgeleuchtet, so dass sich metallig-kühle Effekte ergeben. Becketts Text wird nur anfangs gesungen, dann wird die eher dem Minimalismus zuzurechnende Musik ohne Worte, nur von spitzen Sopranlauten begleitet, eine musikalische Herausforderung, die von Alexandra Lubachansky mit Bravour bewältigt wurde, offenbar aber einigen Besuchern zu viel abverlangte, so dass sie laut Türen schlagend das Weite suchten.

Alle 47 Tänzer des Ensembles kommen in "Neither" zum Einsatz. Schon die Eingangsszene ist eine Herausforderung, wird doch mit besonderer Eindringlichkeit eine Vergewaltigung dargestellt. Herumirrend, zitternd, desolat bewegen sich die Tänzer wie verlorene Seelen im Schattenreich oder wie Menschen nach einer Katastrophe, die unverhofft auf sie eingestürzt ist, oder, wie Becketts Text ausführt, vom Selbst zum Unselbst, vom Selbst zum Anderen. Das setzt Schläpfer in beeindruckenden Bildern um, die manchmal auch etwas Traumartiges evozieren. Charakteristisch für dieses Stück sind parallele Soli, Paar- und Gruppenformationen, eine Fülle von gleichzeitigen Bildern. So kommt der Titel "Weder noch" gleich zweifach zur Entfaltung, thematisch im Schattenreich spielend und tänzerisch in der parallelen Gestaltung. Ein sperriges Werk, das beeindruckend dargeboten und vom Publikum mit großem Beifall bedacht wurde.

Baker's Dozen

Musik: Willie "The Lion" Smith (arrangiert von Dick Hyman)

Choreographie: Twyla Tharp

Kostüme: Santo Loquasto

Licht: Jennifer Tipton

Choreographische Einstudierung: Elaine Kudo

Pianistin: Cécile Tallec

Tänzerin: Ann-Kathrin Adam, Camille Andriot, Feline van Dijken, Yuko Kato, Nicole Morel, Carly Morgan

Tänzer: Martin Chaix, Callum Hastie, Michal Matys, Tonio Schibel, Alexandre Simões, Remus Sucheana

Pavane auf den Tod einer Infantin

Musik: "Pavane pour une infante défunte" von Maurice Ravel

Choreographie: Kurt Jooss

Choreographische Einstudierung: Anna Markard, Jeanette Vondersaar

Kostüme: Sigurd Leeder

Licht: Hermann Markard

Pianistin: Cécile Tallec

Neither (Uraufführung)

Musik: "Neither", Oper in einem Akt von Morton Feldman

Text von Samuel Beckett

Choreographie: Martin Schläpfer

Musikalische Leitung: Dante Anzolini

Video-Lichtinstallation, Raum und Kostüme: rosalie

Sopran: Alexandra Lubachansky

Premiere 30. April 2010 im Opernhaus Düsseldorf.

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