Auf eine Papierserviette schreibt Beckett die Worte: „Vor und zurück im Schatten, vom äusseren zum inneren Schatten./Vor und zurück./Zwischen unerreichbarem Selbst und unerreichbarem Nichtselbst.“
Dieser Kern des insgesamt 16 Zeilen langen Textes mit dem Titel «Neither» (Weder) lassen die Intentionen der beiden Künstler erahnen und skizzieren gleichzeitig den „Existenzraum“, in dem sich die Sopranistin als einzige Darstellerin des Werks aufhält. Beckett bezeichnet den Text als Quintessenz
seines Lebensthemas.
Feldman und Becket verfügen zum Zeitpunkt ihrer Zusammenarbeit bereits über einen unverkennbaren Stil. Nicht das Sichtbare und Bekannte interessiert sie in «Neither» - und von einer Handlung kann nicht die Rede sein. Die Situation kann nicht gedeutet, die Akteurin nicht benannt werden - nichts ist „Entweder/Oder“, vielmehr ist alles „Weder/Noch“.
Während Beckett seine Texte aufs äusserste Minimum reduziert, schafft Feldman ein Nebeneinander von unzähligen verschiedenen Klangkombinationen. Der Komponist ist nicht an der linearen Entwicklung
einer musikalischen Idee interessiert und schon gar nicht daran, kontinuierlich an einer jederzeit überschaubaren Grossform zu arbeiten. Vielmehr reizen ihn die Asymmetrien, die gerade durch den Verlust dieses Überblicks entstehen können. Feldmans Kompositionsweise gleicht so eher dem Akt des Tagebuchschreibens; ein fortwährendes In-Bewegung-Halten, ein „Vor und Zurück“.
In der Partitur für Sopran und grosses Orchester werden die Worte in höchster Stimmlage mehr angedeutet denn ausgesprochen, während die unzählig verschiedenen Schattierungen des orchestralen Teppichs tiefer und tiefer in den Kern des Gedankens hineinführen.
Die Uraufführung fand am 13. Mai 1977 im Teatro dell’Opera in Rom statt. Ob das Opernhaus jedoch der passende Ort für ein Werk zweier Künstler ist, welche die bürgerliche Kunstform ablehnten, darf hinterfragt werden. Operndirektor Xavier Zuber betritt diesbezüglich Neuland: bereits während
seiner Zeit als Dramaturg an der Staatsoper Hannover rief er die Reihe „zeitoper“ ins Leben, welche sich dem experimentellen Musiktheater widmet. In Bern knüpft er an diese Reihe an und wählt als Ort des Geschehens für «Neither» die Grosse Halle in der Reitschule Bern.
«Neither», das die Konventionen der Oper sprengt, wird von einem Team von Spezialisten für Neue Musik in der geschichtsträchtigen Grossen Halle der Berner Reitschule umgesetzt.
Musikalische Leitung Stephan Schreiber
Regie Matthias Rebstock
Ausstattung Sabine Hilscher
Dramaturgie Fabio Ditsche
Sopran Hélène Fauchère
Berner Symphonieorchester
Leere Bühne BECKETT/ FELDMAN
Zwischen den Vorstellungen wird die «Neither»-Bühneninstallation in der Grossen Halle der Reitschule zum Denkraum. Der deutsche Schriftsteller, Essayist und Dramaturg Karl-Heinz Ott spricht über das Verhältnis der beiden Künstler Samuel Beckett und Morton Feldman, deren eigensinnige
Arbeitsweisen in der Oper «Neither» auf kongeniale Weise zusammentreffen.
Mit Karl-Heinz Ott
Termin Do., 25. Apr. 2013, 20:00 Uhr, Grosse Halle, Reitschule, CHF 10
Weitere Vorstellungen 23., 27. Apr. 2013 – zum letzten Mal | Kostenlose
Einführung jeweils 30 Min. vor Vorstellungsbeginn