Als ‚hot spot‘ für die Entwicklung von Nachwuchstalenten darf das Hessische Staatstheater inzwischen angesehen werden, denn ein kreativer Leiter wie Stephan Thoss generiert vielfältige Kreativität auch in seinen Tänzerinnen und Tänzern. Zuletzt gewann Giuseppe Spota beim ‚Internationalen Wettbewerb für Choreographen‘ den zweiten Preis. Seine Choreografie ‚Un/Attainable‘ wird Teil des Ballettabends ‚spring‘ sein.
Entstanden sind für neun Choreografien höchst unterschiedlichen Charakters – nachdenklich, leidenschaftlich, gefühlvoll, aber auch mit augenzwinkernder Ironie. In den Uraufführungen spiegeln sich nicht nur die Persönlichkeiten der Choreografen, sondern auch der kulturelle Reichtum, den die Künstler aus sieben verschiedenen Herkunftsländern in ihre Arbeit einfließen lassen. Schon die Musikauswahl, die von deutschen Barockkompositionen über hebräisches Liedgut bis zu selbst komponierten Stücken reicht, verspricht eine abwechslungsreiche Vielfalt.
Bei aller Individualität in der ästhetischen Ausformung ihrer Arbeiten verbindet die jungen Choreografen aber die universelle Sprache des Tanzes, die ohne Worte den Emotionen der Menschen direkten Ausdruck verleiht. Gerade diese Wortlosigkeit des Mediums Ballett haben sich die Tänzer zum übergreifenden Thema des Abends gewählt. Inspiriert vom Ort der Veranstaltung, der Schauspielbühne Kleines Haus, auf der das Ensemble erstmals auftreten wird, stellen sie ihre Arbeiten unter das Motto ‚Tanz trifft Text‘.
Dabei werfen sie unterschiedliche Fragestellungen auf. Wo sind die Berührungspunkte zwischen dem Wort und einer Kunst, die im Allgemeinen ohne das Mittel des Sprechens arbeitet? Wie können sie sich ergänzen und gegenseitig befruchten? Oder gilt nach wie vor, dass Tanz dort beginnt, wo das Wort aufhört? Kann es ein Mit- und Nebeneinander der verschiedenen Idiome geben oder nur eine kurze Berührung an der jeweiligen Grenze ihrer Ausdrucksmöglichkeiten? Gibt es bei der Verwendung von Vokalmusik, wie sie einige der Choreografen als Vorlage gewählt haben, eine inhaltliche Festlegung durch den Text? Illustriert der Tanz hier nur die Aussage einer Arie, oder welche zusätzliche Dimension dürfen wir erwarten?
Eine Reihe von Fragen, die höchst unterschiedliche Antworten finden werden – oder vielleicht auch einmal ganz bewusst offen gelassen werden. Denn die Stücke, die im Laufe des Abends gezeigt werden, sind von ihrem Wesen her eher mit dem Genre der Kurzgeschichte, der Miniatur zu vergleichen, die sich konzentriert einem Aspekt, einem Thema, einer Stimmung widmet, ohne in epischer Breite einem Handlungsverlauf zu folgen. Dabei reicht das Spektrum von konkreten Szenen bis hin zu abstrakten Umsetzungen – wiederum dem künstlerischen Credo der einzelnen Choreografen folgend.
Gerade diese Vielfalt in Themenstellung und Ästhetik macht den Abend, der erstmals im Rahmen der Maifestspiele gezeigt wird, so reizvoll. Dies spiegelt sich auch im Titel des Programms. spring steht als Synonym für die Aufbruchstimmung des Frühlings, der eine Vielzahl neuer Eindrücke, Farben und Gerüche hervorbringt und die Kraft eines fruchtbaren Neuanfangs symbolisiert. Gleichzeitig erinnert der Titel an Vaslaw Nijinskys bahnbrechendes ‚Le Sacre du Printemps‘, mit der der legendäre Tänzer 1913 den Beginn der choreografischen Moderne einläutete, und steht somit für die Aufforderung, der eigenen Kraft zu vertrauen, das Sichere und Bekannte hinter sich zu lassen und mit einem Sprung ins Ungewisse neue Räume für sich zu entdecken.
Ballett des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden
Musik von Georg Friedrich Händel, Max Richter, Yann Tiersen, Tool u.a.
Choreografien von Maria Eckert, Eve Ganneau, Ezra Houben, Matthias Kass, Christian Maier / Thomas Wilhelm a.G., Kihako Narisawa, Taulant Shehu, Giuseppe Spota, Matthew Tusa