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Ausbruch mit Jacke - Gelungener Saisonstart im Theater Pfütze in Nürnberg mit Christina Gegenbauers Dramatisierung „Ich bin Vincent und ich habe keine Angst“

Oktober 2021

Wenn es während der Vorstellung unwichtig wird, für welche Zielgruppe eine Theaterproduktion gemacht wurde, ist das immer ein gutes Zeichen. Mit „Ich bin Vincent und ich habe keine Angst“ nach dem gleichnamigen Jugendbuch von Enne Koens hat die Wiener Regisseurin Christina Gegenbauer genau so eine Arbeit zur Premiere gebracht. Ihre Dramatisierung des Stoffs hat das immer relevante Anliegen der Vorlage natürlich übernommen, es geht um Mobbing unter Schülern.

Copyright: Theater Pfütze/Marian Lenhard

Und das ist sehr wohl zugeschnitten auf ebendiese Zielgruppe und selbstredend konzipiert mit pädagogischer Ansprache. Aber sobald das Licht ausgeht, übernehmen grundsolides Regiehandwerk, ein schöner Setzkasten an szenischen Mitteln und eine große Portion Fantasie das Ruder, und wir sind auf keiner moralischen Veranstaltung mehr, sondern einfach nur im Theater.

Vincent ist elf, wird von seinen Mitschülern geprügelt, verhöhnt, gedemütigt, täglich vor und nach der Schule, und dazwischen auch. Die Lehrerin schaut weg, die Eltern schauen weg, das Au-Pair schaut halb hin und lässt sich von Vincent immer wieder beknien, Papa und Mama „noch“ nichts zu erzählen. Vincent (Matthias Eberle, der die 80 Minuten locker trägt) hat nämlich dreifach Angst: Vor den Prügeln, vor der Scham gegenüber den Erwachsenen und vor dem Eingeständnis der eigenen Schwäche. Dem Teufelskreis entkommt er vorerst nur in seinen Träumen: Tagsüber mit seiner aus schierer Überlebensangst minutiös nach seinem entsprechenden Handbuch  zusammen gestellten „Survival-Ausrüstung“, nachts mit seinen Traumfreunden Käfer, Pony und Eichhörnchen, gegenüber denen er  groß und unbesiegbar wird.

Im Schullandheim wird der Horror von Stefan (spielfreudig: Pfütze-Urgestein Christof Lappler) und besonders von Dilan (zupackend und präsent: Christine Janner) so groß, dass Vincent in den Wald abhaut. Die neue Mitschülerin Jaqueline, die sich „Jacke“ nennt (überzeugend sonnig: Pfütze-Chefin Elisa Merkens) und selbst im Ausland gemobbt worden war, zeigt dann den Ausweg auf.

Der kreativ gestaltete Raum mit ein paar Podesten und einem Traumgeflecht aus einer Art Mangrovenwurzeln (Ausstattung: Birgit Leitzinger) wird virtuos bespielt, Florian Fischer am Schlagzeug findet immer die richtige emotionale Temperatur, und das Licht (Clarissa Fricke) trennt die zwei Welten Tagtraum und Alptraum gekonnt. Ein mehr als gelungener Saisonauftakt in Nürnberg und eine Dramatisierung, die nachgespielt werden sollte. Denn ein Jugendstück, das den Anspruch erfüllt, sein Anliegen in Form einer einfach guten Theaterproduktion umzusetzen, wird auch anderswo funktionieren und überzeugen.

Premiere: 08.10.2021

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